Offener Brief an Ministerin Kaniber

Die MEG Milch Board hat einen offenen Brief an Ministerin Michaela Kaniber geschrieben. Anlass war ein Interview in der Passauer Neuen Presse.

 

Sehr geehrte Frau Ministerin Kaniber,

wir nehmen Bezug auf den Beitrag in der Passauer Neuen Presse „Von einer Krise zu reden, wäre unredlich“.

 

Uns stellt sich nun die Frage: „Was ist eine Krise?“ Wie Sie wissen lässt die MEG Milch Board einmal pro Quartal die Kosten der Milcherzeugung berechnen. Darin enthalten sind pagatorische Kosten (für Saatgut, Dünger, zugekauftes Futter, Pflanzenschutzmittel, etc.), Unterhaltung von Gebäuden und Maschinen, Kosten für Energie, Lohnarbeit, sonstige Gemeinkosten, Löhne und Pachten sowie Steuern und Abgaben.

 

Selbstverständlich sind auch alle „staatlichen Stützungsmaßnahmen“, die die Milchviehhaltung betreffen, als Einnahmen berücksichtigt. Für andere Beihilfen wie die Agrarumweltmaßnahmen o. ä. werden Leistungen erbracht, die an dieser Stelle honoriert werden müssen. Es wäre also unredlich, sie mit einzubeziehen und hätte einen Hauch von „Schönrechnen“. Viele Milchviehhalter/innen würden übrigens gern auf die Beihilfen verzichten, wenn sie denn einen angemessenen Milchpreis erhielten bzw. wenn die Rahmenbedingungen auf dem Markt es überhaupt zulassen würden, jemals einen angemessenen Milchpreis zu erhalten.

 

Sie sprachen von Fakten. Zu den Fakten gehört auch die Entwicklung der Kosten. Eine sachgerechte Beurteilung der Marktlage funktioniert nur, wenn beide Seiten, d. h. sowohl die Preis- als auch die Kostenentwicklung miteinander abgeglichen werden. Erst dann kann überhaupt angemessen beurteilt werden, ob eine Krisenlage auf dem Milchmarkt besteht. Ein Milchauszahlungspreis von unter 34 ct/kg bedeutet aktuell, dass den Milchviehbetrieben die Einnahmen komplett weggebrochen sind. Von 2018 bis zum April 2020 lagen die pagatorischen Kosten der Milcherzeugung in Bayern immer über 34 ct/kg. Hierin sind allein die Kosten für die aufgewendeten Betriebsmittel eingerechnet und die Erlöse aus Rinderverkauf bereits abgezogen. Arbeitskosten sind aber noch nicht berücksichtigt, genauso wenig wie kalkulatorische Kosten für Land und Kapital. D. h. ein Preis von durchschnittlich 33,99 ct/kg deckt nicht einmal die reinen Produktionskosten der bayerischen Betriebe.

 

Die Faktenlage in der Gesamtkostenbetrachtung stellt sich so dar, dass die Kosten seit 2008 – bis auf einige regionale Ausnahmen – stets höher waren als die Einnahmen. Dies gilt übrigens auch für Bayern: Hier lagen die Kosten zuletzt (Stand April 2020) bei 49,82 ct/kg erzeugter Milch, der Milchauszahlungspreis betrug dagegen nur 35,76 ct/kg. Damit waren auch hier 22 Prozent der Kosten nicht gedeckt.

Und was unsere Berechnung so objektiv macht: Sie enthält einen Einkommensansatz für den/die Betriebsleiter/in sowie die Familienarbeitskräfte (in Anlehnung an tarifliche Standards). Denn auch Milchbäuerinnen und -bauern sollten fair und gerecht bezahlt werden. Die in unseren Berechnungen dargestellten Werte entsprechen damit den tatsächlichen (!) durchschnittlichen Erzeugungskosten, auch wenn Sie dies argumentativ durch den Versuch in Abrede stellen, die Lage auf den Betrieben künstlich in eine theoretisch-rechnerisch schlechte und eine praktisch-tatsächlich gute Lage zu unterteilen.

Die prekäre Situation auf den bayrischen Milchviehbetrieben bestätigen auch die „hauseigenen“ bayerischen Zahlen, die von der LfL im Rahmen des 15. Milchreport Bayern vorgelegt wurden. Die BZA-Betriebe des Milchreport Bayern mit mittlerweile über 900.000 Kilogramm Milch Jahresproduktion und über 100 ha LF sind in etwa drei Mal so groß wie der Durchschnitt bayerischer Milchviehbetriebe und mehr als zweieinhalb Mal so groß wie die durchschnittlichen LKV-Betriebe in Bayern. Für diese Betriebe (124 Betriebe mit durchschnittlich 102 Milchkühen) ergaben sich – ohne kalkulatorische Faktorkosten für Lohn, Gebäude- und Maschinenkapital – bereits 34,06 Cent Produktionskosten. Ein Milchauszahlungspreis von unter 34 Cent erbringt auch den überdurchschnittlich großen Milchviehbetrieben in Bayern keine Einnahmen mehr.

Sie sehen also: Es braucht keine neue „Krise“. Die Lage auf den Betrieben ist seit Langem bedrohlich. Die Krise ist permanent. Die Preiseinbrüche in den Jahren 2012 und 2015/16 sowie die Dürrejahre haben tiefe Spuren hinterlassen, Investitionen können nicht mehr getätigt werden, Selbstausbeutung ist auf den Familienbetrieben gang und gäbe. Viele haben bereits die Reißleine gezogen und aufgegeben.

Es wäre also höchste Zeit für die Politik zu handeln, indem sie entsprechende Rahmenbedingungen schafft. Den Weg dahin beschreibt unser „Fahrplan“, die RoadMap Milch & Markt, die u. a. eine verpflichtende vertragsgebundene Milchvermarktung fordert.

Darüber hinaus ist eine Wende zu einer „enkeltauglichen“ Landwirtschaft dringend erforderlich. Diese muss neben ökonomischen auch ökologische und soziale Standards berücksichtigen und gilt natürlich auch für die Milchviehhaltung. Die berechtigten Forderungen der Gesellschaft und der Bauern als Teil der Gesellschaft - und wichtiger Teil der Lösung - müssen aufgegriffen werden. Dies ist jedoch nur möglich, wenn der Preis „stimmt“.

Sehr geehrte Frau Ministerin Kaniber, auch Sie stellen die Richtigkeit unserer Berechnungen im Grundsatz nicht in Frage.  Sie beschreiben, dass Sie die Lage auf den Betrieben, anscheinend „tatsächlich“ anders wahrnehmen als es die Berechnungen ausweisen. Ihre Wahrnehmung resultiert aber gerade daraus, dass Betriebsinhaber/innen und die mitarbeitenden Familienangehörigen nicht angemessen entlohnt und sachfremde Mittel eingesetzt werden, um Arbeitsplätze zu erhalten. Wenn dies Ihre Vorstellung von einer nachhaltigen Wirtschaftsweise ist, können wir dem nur entschieden entgegentreten.

Wir nehmen Ihre Aussagen allerdings zum Anlass, um Folgendes festzustellen: Sie nehmen den Verschleiß von Menschen, Tieren und Betrieben sehenden Auges in Kauf, um einen möglichst niedrigen Milchpreis zu rechtfertigen. Eine faire Entlohnung der bäuerlichen Arbeit befürworten Sie ebenso wenig wie den zweckentsprechenden Einsatz der beispielsweise für die Stärkung des Umweltschutzes gewährten Beihilfen. Ihnen fehlen Visionen zur Veränderung eines nicht mehr zeitgemäßen Systems, weil Sie noch nicht einmal erkannt haben, dass es eines grundlegenden Wandels bedarf um die Bäuerinnen und Bauern, die Ihnen am Herzen liegen, wirkungsvoll darin zu unterstützen, ihre Betriebe mit einer Perspektive an die nächste Generation weiterzugeben.

Sehr geehrte Frau Ministerin, in Zeitungsberichten und offenen Briefen werden die Positionen klar dargestellt. Wir betrachten diese als Ausgangspunkt für einen Dialog, der im Ergebnis Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit liefern kann. Gerne würden wir mit Ihnen persönlich den Dialog, den wir vor einem Jahr mit den Herren Hiebl und Dauer begonnen haben, fortsetzen. Dabei geht es uns darum, im Detail zu erfahren, wie Sie das Bild vom Bayerischen Weg der Agrarwende zeichnen und welchen Platz darin die Milchviehhalter/innen haben.

Gerne nehmen wir dafür Ihren Terminvorschlag entgegen.

Vielen Dank
Mit freundlichen Grüßen

Unterzeichnet haben Vorstandsteam und Geschäftsführer
der MEG Milch Board w. V.

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> Hier finden Sie das Interview in der PNP als PDF-Download